Leitfaden zur Bedarfsermittlung
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Diese Richtlinie gilt in erster Linie für die Städte und Gemeinden, die am Projekt „Support Services for EU Smart Communities“ teilgenommen haben. Die nachstehenden Informationen können jedoch auch für externe öffentliche Auftraggeber als Leitfaden zur Ermittlung ihres Beschaffungsbedarfs nützlich sein.

1. Bedarfsermittlung
Die Bedarfsermittlungsphase stellt den ersten grundlegenden Schritt im öffentlichen Beschaffungsprozess dar. Sie umfasst die Definition, Analyse und Dokumentation des Bedarfs, der durch den Erwerb von Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen gedeckt werden muss.
Im Rahmen des Projekts Online-Beschaffungs-Helpdesk für Smart Communities und in Übereinstimmung mit der bereitgestellten „Referenz-Roadmap“ sollte der öffentliche Auftraggeber (ÖA) die wichtigsten Anforderungen identifizieren und priorisieren, die auf dem Weg zu einer Smart City erfüllt werden müssen. Dabei sollte die Umsetzung der in der Roadmap definierten strategischen Ziele in konkrete funktionale und technische Anforderungen an die zu beschaffenden Waren oder Dienstleistungen erfolgen.
2. Warum kaufen wir?
Die folgenden Schritte unterstützen ÖA dabei, vor der Ausschreibung eine präzisere Ermittlung durchzuführen:
- Die Bedarfsdefinition beschreibt das Problem, das durch die Beschaffung gelöst werden soll. Dabei ist sicherzustellen, dass der Bedarf sowohl legitim ist als auch mit den Zielen der öffentlichen Organisation übereinstimmt.
- Ermitteln Sie die verfügbaren Ressourcen innerhalb der Organisation: Dazu gehören finanzielle, personelle und technische Ressourcen, die zur Deckung des identifizierten Bedarfs genutzt werden können. Die Identifizierung dieser Ressourcen hilft bei der Bestimmung des Umfangs und der Durchführbarkeit der Beschaffung.
- Durchführung einer internen Umfrage: Dazu kann die Befragung relevanter Abteilungen, die Überprüfung bestehender Prozesse und die Auswertung früherer Erfahrungen gehören.
3. Wer kauft?
Ein öffentlicher Auftraggeber als Auftragnehmer: Wenn eine einzelne Behörde als Auftragnehmer auftritt, ist die Bedarfsermittlung einfacher, da die zu erfüllenden Bedürfnisse intern definiert und auf den spezifischen Zielen der jeweiligen Behörde basieren. Dieser Ansatz ermöglicht eine direkte Steuerung von Prioritäten und Ressourcen sowie eine bessere Kontrolle über den Beschaffungsprozess. Allerdings kann die Verhandlungsmacht bei Einzelkäufen im Vergleich zu einer aggregierten Nachfrage manchmal eingeschränkt sein.
Gemeinsame Beschaffung: Bei der gemeinsamen Beschaffung arbeiten zwei oder mehr öffentliche Auftraggeber zusammen, um eine Beschaffung gemeinsam durchzuführen. Die Bündelung der Kräfte in einer gemeinsamen Beschaffung bietet den öffentlichen Auftraggebern mehrere Vorteile: niedrigere Preise dank Skaleneffekten, geringere Verwaltungskosten für die Angebotserstellung durch die Verwaltung einer einzigen Ausschreibung anstelle mehrerer Ausschreibungen sowie die gemeinsame Nutzung von Kompetenzen und Ressourcen, was insbesondere kleineren Verwaltungen durch die Unterstützung größerer Verwaltungen zugutekommt. Die EU-Richtlinie Nr. 24/2014 erlaubt auch grenzüberschreitende Ausschreibungen, bei denen öffentliche Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedsstaaten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit kann durch spezifische Vereinbarungen erfolgen, die festlegen, wie Aufträge im Einklang mit nationalen und EU-Vorschriften gemeinsam verwaltet werden können.
- Aggregierte Beschaffung: Gemäß der EU-Richtlinie Nr. 24/2014 zählen die die Rahmenvereinbarung und das dynamische Beschaffungssystem zu den Instrumenten für die aggregierte Beschaffung. Diese werden typischerweise von zentralen Beschaffungsstellen eingerichtet, um die Bündelung von Beschaffungen zu erleichtern und Skaleneffekte zu fördern. Andere öffentliche Auftraggeber können an diesen Instrumenten teilnehmen. Im Gegensatz zur gemeinsamen Beschaffung, bei der eine Zusammenarbeit bei der Verwaltung des gesamten Beschaffungsprozesses erforderlich ist, ist bei diesen Instrumenten keine solche Zusammenarbeit nötig. Stattdessen ermöglichen sie es den öffentlichen Auftraggebern, Aufträge an Wirtschaftsteilnehmer zu vergeben, die an diesen aggregierten Mechanismen teilnehmen:
- Rahmenvereinbarung: Eine Rahmenvereinbarung ist eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern, die die Bedingungen für die in einem bestimmten Zeitraum zu vergebenden Aufträge definiert, insbesondere hinsichtlich Preis und gegebenenfalls Menge. Öffentliche Auftraggeber können mit im Rahmen dieser Rahmenvereinbarung ausgewählten Lieferanten nur bei Bedarf Einzelverträge abschließen und diese an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen.
- Dynamisches Einkaufssystem (DPS): Ein DPS ist ein Instrument, das während seiner gesamten Laufzeit für alle Wirtschaftsteilnehmer offensteht, die die Auswahlkriterien erfüllen. Es bleibt während seiner gesamten Laufzeit für neue Wirtschaftsteilnehmer geöffnet, die die Auswahlkriterien erfüllen, wodurch ein kontinuierlicher Wettbewerb gewährleistet wird. ÖA erhalten durch DPS Zugang zu einem dynamischen und wettbewerbsorientierten Markt mit neuen Anbietern, die jederzeit hinzukommen können.
4. Was kaufen wir?
4.1 Gegenstand der Beschaffung
Im Rahmen der Bedarfsermittlung ist der ÖA dazu angehalten, den Beschaffungsgegenstand festzulegen. Dieser wird in seiner Roadmap zur Identifizierung der bestellbaren Artikel, Dienstleistungen und Technologien für die Umsetzung eines LDT entsprechend dem jeweiligen Reifegrad der Stadt festgelegt. Weitere Informationen zum Beschaffungsgegenstand finden Sie in der Richtlinie zur Auswahl von Beschaffungsobjekten und Vorlagen. In dieser Phase ist es wichtig, die Verfügbarkeit des Beschaffungsgegenstands auf dem Markt zu prüfen. Dabei kann der ÖA:
- Eine Marktanalyse planen: Im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe ist die Marktanalyse ein Verfahren zur Erfassung von Informationen, die ÖA dabei helfen können, Folgendes zu verstehen:
- Marktstruktur
- Kapazität der Wirtschaftsteilnehmer
- Preisentwicklungen.
Marktanalysen können mithilfe eines Schreibtischansatzes durchgeführt werden, beispielsweise in Form von Benchmarkanalysen, um Marktpreise und Angebote zu vergleichen und relevante Marktdaten zu sammeln. Gemäß der EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe kann ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Marktanalyse auch direkt mit Wirtschaftsteilnehmern zusammenarbeiten, indem er eine vorläufige Marktkonsultation organisiert. So kann die Marktreife bewertet und potenzielle Anbieter oder innovative Ansätze identifiziert werden.
- Eine Kostenanalyse durchführen, um sicherzustellen, dass die finanziellen Auswirkungen der Bedarfsdeckung gründlich bewertet werden. Dieser Schritt unterstützt den ÖA dabei, Kosteneffizienz und Preis-Leistungs-Verhältnis in Einklang zu bringen und sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Lösungen nachhaltig und vertretbar sind.
4.2 Technische Spezifikationen
Sobald der Beschaffungsgegenstand, der die Anforderungen des ÖA erfüllen kann, festgelegt wurde, ist es wichtig zu prüfen, welche Anforderungen der Auftragsgegenstand erfüllen sollte. Die technischen Spezifikationen beschreiben dabei umfassende Anforderungen und technische Details, die die Merkmale, Leistungen und Ausführungsmethoden der vertraglich abgedeckten Waren, Dienstleistungen oder Arbeiten beschreiben. Die Lieferanten sind verpflichtet, die in den technischen Spezifikationen der Vergabebehörden festgelegten Standards und Anforderungen einzuhalten.
Weitere Informationen zur Struktur technischer Spezifikationen in den Beschaffungsvorlagen finden Sie in der Richtlinie zur Interpretation und Anpassung technischer Spezifikationen. Wenn Sie mehr über die Integration von Nachhaltigkeit in technische Spezifikationen sowie über umweltverträgliche öffentliche Beschaffung (Green Public Procurement, GPP) und soziale Anforderungen erfahren möchten, können Sie die Richtlinie Beschaffungsinitiativen und -kriterien zur Erreichung von Nachhaltigkeits- und Sozialzielen zu Rate ziehen.
5. Wie kaufen wir? Ablauf des Verfahrens
Sobald der Auftragsgegenstand und die technischen Spezifikationen definiert sind, ist die Wahl des Vergabeverfahrens durch den ÖA von entscheidender Bedeutung. Manchmal lässt sich der Auftragsgegenstand jedoch nicht vollständig definieren – beispielsweise wenn Forschungs- und Entwicklungsphasen in Zusammenarbeit mit Unternehmen erforderlich sind oder ein Dialog mit Unternehmen zur Ausarbeitung der technischen Spezifikationen erforderlich ist. In solchen Fällen können innovative Beschaffungsverfahren (vorkommerzielle Auftragsvergabe (Pre-commercial Procurement, PCP) oder öffentliche Beschaffung innovativer Lösungen (Public Procurement of Innovative Solutions, PPI) eine Lösung darstellen. Weitere Informationen zur innovativen Beschaffung finden Sie in der Richtlinie Innovative Beschaffung.
Neben der innovativen Beschaffung können sich ÖA für Folgendes entscheiden:
- Offenes Verfahren: Im Rahmen eines offenen Verfahrens besteht für jeden Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit, ein Angebot einzureichen. Dadurch wird die vollständige Zugänglichkeit und Transparenz gewährleistet. Das Verfahren umfasst die Veröffentlichung einer Ausschreibung, die Entgegennahme von Angeboten und die Vergabe des Auftrags an den Bieter mit den höchsten Zusagen.
- Nicht offenes Verfahren: Dabei kann jeder die Teilnahme an einem nicht offenen Verfahren beantragen, die Abgabe von Angeboten ist jedoch ausschließlich den vorausgewählten Bewerbern gestattet.
- Verhandlungsverfahren: Bei diesem Verfahren verhandelt der ÖA mit den ausgewählten Bewerbern, um die Angebote an die spezifischen Anforderungen des Auftrags anzupassen. Das Verfahren umfasst die Vorauswahl, die Verhandlung und die Einreichung der endgültigen Angebote. Das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung kann in Ausnahmefällen angewendet werden, beispielsweise bei äußerster Dringlichkeit aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse, wenn die Fristen für offene oder nicht offene Verfahren oder wettbewerbliche Verfahren mit Verhandlung nicht eingehalten werden können; wenn die Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen aus technischen oder künstlerischen Gründen oder zum Schutz ausschließlicher Rechte nur von einem bestimmten Anbieter erbracht werden können; wenn das Angebot für ein offenes oder nicht offenes Verfahren erfolglos war. Weitere Informationen zu Verhandlungsprozessen finden Sie in der Richtlinie für effektive Verfahren zur Bewertung der Beschaffung und effektive Verhandlungen.
6. Wie kaufen wir ein? Auswahl der Zuschlagskriterien
Zuschlagskriterien sind die Kriterien, anhand derer ein ÖA das beste Angebot auswählt und einen Auftrag vergibt. Diese Kriterien müssen vom ÖA im Voraus auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festgelegt werden. Dieser sieht ein Verbot der Verfahrenserschwerung unter Berücksichtigung des Auftragsgegenstands vor:
- Niedrigster Preis: Diese Methode ist einfach und kostengünstig und eignet sich ideal für standardisierte Verträge. Allerdings können dabei Qualitäts- oder Nachhaltigkeitsaspekte außer Acht gelassen werden.
- Wirtschaftlich günstigstes Angebot (Most Economically Advantageous Tender, MEAT): Das MEAT-Kriterium bewertet Angebote sowohl anhand des Preises als auch der im technischen Teil des Angebots beschriebenen Qualität. Dieser Ansatz fördert die Nachhaltigkeit aus ökologischer und sozialer Sicht. Weitere Informationen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in Angeboten finden Sie in der Richtlinie Beschaffungsinitiativen und -kriterien zur Erreichung von Nachhaltigkeits- und Sozialzielen. Das MEAT-Kriterium wird typischerweise für nicht standardisierte Beschaffungsziele verwendet.
Quellen / Weitere Leitlinien (in englischer Sprache)
- Public Procurement Guidance for Practitioners- Siehe „1.1 Assess future needs“.
- EU GPP Toolkit (European Commission)-Modul 4. Needs assessment. Trainings organised by the EU GPP Helpdesk and specific materials on needs assessment.
- Innovation Procurement Guidance (2018)
- Procura+ Manual (3. Auflage, 2016) – Ein vom Procura+-Netzwerk erstelltes Handbuch als Leitfaden für europäische Behörden.
- Good Practice Examples -Zusammenstellung bewährter Verfahren zur umweltfreundlichen und sozialen Beschaffung.